„Wir sind einfach ins kalte Wasser gesprungen.“

Es begann mit dem Feuerwehrfest und führte sie ins Gefängnis: Mit ESSEN VOR ORT bringen Susanne und Dieter Fritz gemeinsam mit Sonja Planeta den Geschmack der Region Wagram unter die Leute. Ein Gespräch darüber, wie Vision, Motivation und eine gewisse Naivität zum Erfolg geführt haben und warum ihre Events vielleicht auch Sozialprojekte sind. (Interview & Text: Stefan Nimmervoll, Journalist)

 

WIE KOMMT MAN ALS GRAFIKBÜRO AUF DIE IDEE, SICH MIT ESSEN ZU BEFASSEN?

DIETER

Gute Gestaltung und gutes Essen passen super zusammen. Aber so etwas passiert nicht von heute auf morgen, sondern entsteht aus vielen kleinen Bausteinen. Susi setzt sich sehr viel mit der Natur und Lebensmitteln auseinander. Ernährung ist uns wichtig. Als wir Kinder bekommen haben, hat sich das verstärkt.

Susanne

Dieter hat immer davon geredet, ein Feuerwehrfest mit regionalen Produkten zu machen. Das erschien uns aber unmöglich. Während Corona haben wir dann ESSEN VOR ORT gegründet, um Events in kleinerem Rahmen zu veranstalten.


SONJA, DU HAST ALS JOURNALISTIN EINEN PROFESSIONELLEREN ZUGANG ZUR KULINARIK. WIE HABT IHR EUCH GEFUNDEN?

SONJA

Über das Neuland-Magazin. Als ich nach Feuersbrunn gezogen bin und mich selbstständig gemacht habe, habe ich geschaut, für welche Medien ich in der Region arbeiten könnte. Bei den Terminen mit Dieter und Susi hat sich bald gezeigt, dass wir alle drei stark dieses kulinarische Thema haben. Dann ist die Frage gekommen, ob wir nicht einmal gemeinsam ein Event ausprobieren wollen. Wir haben bei uns am Hof schon zuvor einen Stadl renoviert, weil wir mit der Idee gespielt haben, einmal ein Pop-Up-Dinner zu machen.

DIETER

Aus einem kleinen Hobby ist etwas geworden, für das wir seit drei Jahren jeden Freitag beisammensitzen und darüber reden, was wir bei ESSEN VOR ORT machen können.


BRAUCHT ES DEN INPUT VON AUSSEN, DURCH ZUGEZOGENE, DAMIT MAN ERKENNT, WAS MAN VOR SEINER HAUSTÜRE HAT?

SONJA

Als „Zuagraste“ beschäftigt man sich intensiver damit, was man vor der Haustür hat. Bei unserem ersten Pop-up in Engelmannsbrunn waren viele Einheimische überrascht, was es bei uns in der Region alles gibt.

SUSANNE

Das Verwurzelte und Verankerte auf der einen Seite und andererseits die freie Herangehensweise ohne Vorkenntnisse zu einer Region sind eine gute Kombination.


DIETER, DU BIST IN DER REGION AUFGEWACHSEN. WAS IST FÜR DICH DER TYPISCHE GESCHMACK DER HEIMAT?

DIETER

Ein absolutes Kindheitsgericht, als wir selber daheim noch Sau abgestochen haben: Nierndln mit Hirn.


SEID IHR FÜR EURE IDEEN ANFANGS SCHIEF ANGESCHAUT WORDEN?

DIETER

Der Erste, den ich angerufen habe, war der Farthofer Toni; ein Tischler bei uns. Er war von Anfang an dabei und hat uns Tische und Bänke speziell für die Events gebaut. In Wirklichkeit haben wir nur offene Türen eingerannt.

SONJA

Wenn jemand daran gezweifelt hat, dann ohne, dass wir es wussten.

SUSANNE

Die Frage, die schon gestellt wurde, war, warum wir uns das antun.


UND WARUM TUT IHR EUCH DAS AN?

SONJA

Das fragen wir uns selbst auch immer wieder.

SUSANNE

Man kann das im Gespräch gar nicht so gut vermitteln, wie direkt bei einem Event. Dort spürt man, mit welcher Liebe wir das machen.


GIBT ES SO ETWAS WIE EINE MISSION, DIE IHR ERFÜLLEN WOLLT?

DIETER

Wir erkennen, welches Potential in dieser Region liegt. Es wird in der breiten Masse aber nicht gesehen.

SUSANNE

Ursprünglich sollte ESSEN VOR ORT ein gemeinnütziger Verein werden, weil wir auch Kindern und Jugendlichen niederschwellig die Bedeutung regionaler Produkte näherbringen wollen. Dem kommen wir heute mit unseren Kinder- und Jugendworkshops nach. Wir übernehmen die Kosten, dadurch können die Kinder und Jugendlichen gratis teilnehmen.


REICH WIRD MAN DAMIT VERMUTLICH NICHT, ODER?

SONJA

Noch eine häufig gestellte Frage. Nein. Wir kalkulieren sehr fair. Was wir einnehmen, investieren wir in Equipment und Kinderworkshops.

DIETER

Wir rechnen keine einzige Arbeitsstunde, sonst dürften wir das gar nicht machen.


GASTRONOMIE HAT VIEL MIT KREATIVITÄT ZU TUN. DIE BASIS IST ABER SOLIDES HANDWERK. WO HOLT MAN SICH DAS HER, WENN MAN KEINE EINSCHLÄGIGE AUSBILDUNG HAT?

SONJA

Ich habe zu Studienzeiten in der Gastronomie gearbeitet. Bei Susi und Dieter ist das Gastgeber-Sein naturgegeben.

SUSANNE

Wir sind einfach ins kalte Wasser gesprungen. Wie wir was bewerkstelligen, darüber haben wir am Anfang gar nicht nachgedacht.

DIETER

Eine gewisse Naivität hilft einem da durchaus weiter. Die Speisen üben und üben und üben wir. Da probieren wir verschiedene Rezepturen und Kompositionen aus.


DIE ZAHL DER KLASSISCHEN WIRTSHÄUSER HAT DRAMATISCH ABGENOMMEN. IM WESENTLICHEN PENDELT DIE KULINARISCHE VERSORGUNG IN DER REGION, MIT WENIGEN AUSNAHMEN, ZWISCHEN LIEFER-PIZZERIA UND HAUBENGASTRONOMIE. WARUM TUT SICH DER SOLIDE MITTELBAU SO SCHWER?

SUSANNE

Viele sind in einen Dornröschenschlaf gefallen und bewegen sich in eingefahrenen Spuren. Das ist ein gewisser Teufelskreis: Die Leute sind nicht mehr bereit, jedes Jahr mehr zu bezahlen. Die Gastronomie versucht nicht zu teuer zu werden, damit sie die Gäste halten kann. Dafür muss sie bei den Produkten einsparen.

DIETER

Das Thema Preis ist bei uns nicht vordergründig, sondern das Produkt.


DAS MUSS MAN SICH ABER AUCH LEISTEN WOLLEN. WER IST EUER PUBLIKUM?

sonja

Mit den Pop-ups sind wir wahnsinnig lokal, auch weil die Leute neugierig sind. Bei den Dinner-Veranstaltungen ist es überregional. Am Anfang war es oft der Koch, der seine Stammgäste mitgebracht hat. Mittlerweile zieht die Veranstaltungsreihe selber. Wir haben zu Weihnachten Gutscheine verkauft, ohne, dass wir wussten, wer wann und wo kochen wird.


AKTUELL WIRD GERADE ÜBERALL VON DER INFLATION UND DEN PREISSTEIGERUNGEN BEI LEBENSMITTELN GEREDET. WIE VIEL DARF, WIE VIEL MUSS GUTES ESSEN KOSTEN?

DIETER

Beim Motor schauen wir, dass wir das Beste hineintanken, damit er lange funktioniert. Bei unserem Körper ist das mit Essen und Trinken nichts Anderes. Man muss wegkommen von der Masse hin zur Qualität. Früher hat es ein, zwei Mal pro Woche Fleisch gegeben, weil es teuer war. Wenn man das heute so macht, kann man sich auch Gutes, Regionales leisten. Da ist die Gesellschaft gerade dabei, den Sprung von billig und viel, hin zu überlegt und in Maßen zu machen.


KOMMT BEI EUCH ZU HAUSE AUCH EINMAL EIN CONVENIENCE-PRODUKT AUF DEN TISCH, WENN ES SCHNELL GEHEN MUSS?

sonja

Ja. Letztens habe ich Ravioli gekauft.

SUSANNE

Bei uns waren es Kärntner Kasnudeln. Und auch einmal eine fertige Sauce Hollandaise.

dieter

Bei uns wird jeden Tag zu Mittag frisch gekocht. Aber die Nudeln machen wir nicht selber.

susanne

Es ist aber ein Irrglaube, dass fertige Produkte günstiger sind.


GIBT ESAM WAGRAM ÜBERHAUPT GENUG HANDWERKLICHE LEBENSMITTELPRODUZENTEN FÜR EUER KONZEPT?

sUSANNE

Definitiv. Wir richten uns natürlich danach, was vorhanden ist. Bei Dingen wie Gewürzen oder Butter ist das aber schwierig. Da gehen wir dann nach Qualität und Bio.

SONJA

Wir sehen, wie sich die Produzenten weiterentwickeln. Es kommt immer etwas Neues nach.

SUSANNE

Eine Herausforderung ist manchmal noch die Zugänglichkeit. Da kurvt man schon viel herum. Mit den verschiedenen Direktvermarkter-Hütten ist das aber besser geworden.


WIE WICHTIG SIND EUCH ZERTIFIZIERUNGEN WIE BIO?

dieter

Unsere Linie ist die Regionalität. Die steht an erster Stelle. Wir nehmen das, was es an dem Ort gibt, an dem wir sind.

sonja

Wenn wir ein Bioprodukt finden, freuen wir uns einen Haxn aus. Es muss uns aber auch überzeugen. Wir verkosten neutral und entscheiden dann, ob es bei uns hineinpasst.

SUSANNE

Oft machen wir schon die Erfahrung, dass die Bioprodukte bei der Verkostung vorne liegen.


ESSEN IST GENERELL IM UMBRUCH. VEGAN UND VEGETARISCH SIND FÜR MANCHE ZU EINER ERSATZRELIGION GEWORDEN. WO SEHT IHR DIE ZUKUNFT? WIRD ES BEI ESSEN VOR ORT EINMAL INSEKTEN AM TELLER GEBN?

sonja

Wenn sie regional produziert werden…

dieter

Natürlich hat jeder die freie Entscheidung. Gerade Kulinarik besteht aber ganz wesentlich aus Vielfalt. Nur Fleisch essen oder gar kein Fleisch essen als Extreme, nehmen einem viele interessante Erfahrungen weg. Wir ernähren uns, wenn wir Fleisch essen, hauptsächlich von Wild, wollen aber grundsätzlich auch für anderes offenbleiben. Wichtig ist jedenfalls, sich mit dem Produkt zu beschäftigen. Voriges Jahr sind wir vor dem Dinner in Engelmannsbrunn mit den Gästen durch den Hof gegangen, von dem die Schweine für danach waren. Da ist es schon still gewesen.


ESSEN DIENT NICHT NUR DER NÄHRSTOFFAUFNAHME, SONDERN HAT AUCH EINE SOZIALE KOMPONENTE. WIE WICHTIGIST EUCH DIE?

SONJA

Sehr wichtig. Beim Dinner haben wir Achtertische. Deshalb müssen sich die Leute zusammensetzen. Im Laufe des Abends wächst der Tisch zusammen. Das hat bis jetzt immer super funktioniert.

DIETER

Es hat schon einen Grund gegeben, warum man früher mehr im Wirtshaus zusammengestanden ist und in den Kellergassen Leben war. Diskussion und Streitigkeiten lassen sich an der Schank oder im Stüberl gut lösen.


EURE EVENTS SIND ALSO AUCH SOZIALPROJEKTE?

SUSANNE

Nein.

DIETER

Vielleicht irgendwie doch. Wir bringen die Leute aus dem Dorf, die Produzenten und die Handwerker zusammen. Mit wäre das Wort „Sozialprojekt“ aber zu weit formuliert.

SONJA

Bei einem Termin bei uns am Hof, noch vor ESSEN VOR ORT, haben wir die Nachbarn eingeladen und die haben festgestellt, dass sie schon ewig nicht mehr miteinander geplaudert haben. Wir bringen also schon die Leute zusammen.


DAS GROSSE ZIEL EINES REGIONALEN FEUERWEHRFESTES IN ENGELMANNSBRUNN WURDE BEKANNTLICH SCHON ERREICHT. WELCHE VISIONEN BLEIBEN NOCH?

SONJA

Alle Feuerwehrfeste in der Region?

SUSANNE

Bitte provoziere ihn nicht.

SONJA

Unser dreitägiges Wirtshaus im ehemaligen Gefängnis im Sommer in Kirchberg ist jedenfalls noch mal eine Stufe über dem, was wir bisher gemacht haben.

DIETER

Die ersten spekulieren schon auf ein fixes Wirtshaus. Im Ernst: Visionen entstehen aus einem Prozess. Uns wird wieder etwas einfallen.